Überlegungen zur Symbolik

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten
Überlegungen zur Symbolik 

Alles ist ja nur symbolisch zu nehmen, und überall steckt noch etwas anderes dahinter
Goethe

Aus heiterem Himmel kam die Frage: „Was ist ein Symbol?“

Keine eingängige Antwort wollte mir über die Lippen kommen. Ich fühlte mich ertappt. Da schreibe ich seit mehr als dreissig Jahre über Symbole und kann diese Frage nicht lässig beantworten.

Nach verzeihbarer Verblüffungspause fiel mir die allgemeinste Formulierung des Symbolbegriffs ein: Ein Symbol verweist auf etwas anderes. Es ist mit einem Wiedererkennungswert verbunden, der bei Platon eine erotische Komponente besass. Im „Gastmahl“ finden Sie das viel zitierte Gleichnis von den Kugelmenschen, die aus Angst von Zeus in zwei Menschen zerteilt wurden. Beide Hälften fühlen sich seitdem erotisch zu einander hingezogen. Das New Age machte daraus den Mythos den Seelenpartners, den man sogleich erkennt, wenn man ihn trifft. Bei Platon lautet das so: Jeder ist das Symbolon eines Menschen. Er verweist auf seine andere Hälfte, mit der er wieder eine Einheit bilden will.

Ein Symbol deutet auf ein Anderes, mit dem zusammen es eine Einheit bildet. Es weist auf eine Realität – wie der zeitgenössische italienische Anthropologe Fiorenzo Facchini schreibt -, die nicht logisch oder durch Konvention festgelegt wurde, sondern die „evoziert“ wird. Dieses Evozieren oder Anklingen ist freilich eine höchst ungenaue Beschreibung, die nicht nur Umberto Eco dazu verleitete, eine nur vage Festlegung der Symbole zu bedauern, um dennoch in ihr auch die Stärke der Symbolik zu vermuten.

Ein Problem besteht darin, dass das Symbol-Konzept (in der Wissenschaft wie in der Umgangssprache) für eine Vielfalt unterschiedlicher Phänomen herhalten musste und noch muss. Für die einen ist ein Symbol ein Zeichen (linguistische Zeichentheorie von Charles Sanders Peirce), für die anderen ein Bild (oft in der religiösen Kunst), die dritten sehen es als Gegenstand oder wie Albrecht Dürer und Albrecht Altdorfer als eine Allegorie an. Für Goethe und die Weimarer Klassik verwandelt das Symbol eine Erscheinung in eine Idee, das Besondere und das Allgemeine werden im Symbol verbunden. Religiösen Menschen dient das Symbol als „heißer Draht“ zum Transzendenten. Die umfassendste Auffassung vom Symbol bietet der einflussreiche Ethnologe Claude Lévy-Strauss in seinem berühmten Ausspruch: Kultur ist eine Gesamtheit symbolischer Zeichensysteme. Vom Strukturalismus ab wird das Symbol als Element eines Systems und nicht mehr isoliert betrachtet.

Kulturelle symbolische Zeichensysteme sind von Konventionen festgelegt. Das heißt mit anderen Worten: was ein Symbol bedeutet, regelt die Konvention (weitgehend nach pragmatischen Gesichtspunkten). Damit vereinigt sich jedoch der Symbolbegriff ununterscheidbar mit dem Begriff des Zeichens. Außerdem würden Psychologen wie Freud, Jung und Lacan heftigst Levy-Strauss widersprechen. Nach ihnen ist die Beziehung vom Symbol zum Symbolisierten gerade unkonventionell – nämlich vom Unbewussten bestimmt.

Symbole sind also an eine bestimmte Gesellschaft gebunden und ihr Gebrauch setzt Bewusstsein voraus (eine Ausnahme davon stellen allerdings Jungs Archetypen dar).

Am stärksten ist der symbolische Ausdruck in der chinesischen und hinduistischen Gesellschaft verbreitet. Seit der Gupta-Zeit (4.-6. Jh.) geht der Hindu davon aus, dass alles Sichtbare ein Symbol für etwas Unsichtbares ist – mit anderen Worten: alles auf der Welt ist symbolisch. Beim Hinduismus fällt außerdem die sexuelle Konnotation bei fast jeder bedeutenden Symbolik auf (die hinduistische Symbolik stellt das ideale Beispiel für Freuds Sublimationstheorie dar).

Symbol und Zeichen

Wir leben nicht nur in einer Welt von Symbolen – eine Welt von Symbolen lebt in uns

J. Chevalier

Es ist erkenntnisfördernd, zwischen Symbol und Zeichen zu unterscheiden.

Bei einem Zeichen ist die Beziehung zwischen dem Zeichen und der bezeichneten Realität durch die Konvention festgelegt (wie bei Verkehrszeichen). Bei einem Symbol dagegen ist die Beziehung zwischen dem Symbol und der „evozierten“ Realität gerade nicht derart festgelegt, was sich bei Traumsymbolen deutlich zeigt. Ihre Bedeutung ist unter anderem von tiefenpsychologischen, biografischen und zeitgeistigen Bezügen bestimmt, die sowohl individuell als auch konventionell wirken. Ein Symbol hat mehr Freiheit etwas anklingen zu lassen als ein konventionell festgelegtes Zeichen, bei dem eine vage Bedeutungszuordnung seinen Sinn in Frage stellen würde.

Nach welchen Gesetzen richtet sich die Verbindung zwischen einem Symbol und dessen Bedeutung?

Sigmund Freud war der Ansicht, dass die Symbolbildung ein zugespitztes Bild schafft, das eine Bedeutung verdichtet. Außerdem tritt oft noch ein innerer Zensor auf, der die Erkennbarkeit des Gemeinten dadurch verschleiert, dass er emotionale Wertigkeiten verändert. Das geschieht häufig, in dem er sie auf andere Objekte verschiebt nach dem Muster „das heißgeliebte Auto symbolisiert die begehrte Frau“. Aber trotz aller Verschleierung ist dennoch hinter dem manifesten Symbol ein latenter eindeutiger Sinn verborgen (der freilich bei Freud monoton in der Wunscherfüllung erkannt wird).

C.G. Jung, der sich mit Freud über dessen Symbolbegriff bis zur dramatischen Entzweiung stritt, nahm an, dass das Symbol eine schöpferische Gestalt sei, die versucht, das Bewusstsein ihres Rezipienten zu erweitern. Bei seinen ausgiebigen Symboluntersuchungen gelangte Jung zu der Theorie einer Tiefenstruktur aller Symbole, die er „Archetyp“ nannte (und die er leider widersprüchlich definierte). Diese Supersymbole, auf die sich alle anderen Symbole zurückführen lassen, bilden die grammatische Struktur der Symbolsprache (das ist vergleichbar Noam Chomskys Tiefengrammatik in der Linguistik oder „langue“ der Sprache als System bei dem Schweizer Gründer der Linguistik de Saussure). Mit modernen und systematischeren Augen gesehen, geht Jung von zwei Modi aus, nämlich dem des Gegensatzes und dem des Unverständlichen (aber Geahnten) oder der zu großen Abweichung vom Erfahrungshorizont des Rezipienten. Den Gegensatz fasst Jung unter dem Aspekt Animus und Anima, das Unverständliche findet sich im Konzept des Schattens und des Höheren Selbst. So gesehen kann man sagen, ein Symbol verweist im Gegensatz zum Zeichen auf seinen Gegensatz oder auf ein Unverstandenes oder gar Unverstehbares.

Gerade in der religiösen Symbolik wird unter Einfluss des Neuplatonismus (ab 600 etwa) davon ausgegangen, dass ein Symbol stets auf die Wahrheit und damit auf Gott deutet. Da sowohl die Wahrheit als auch Gott nicht verstanden werden können, benötigt man Symbole. Diese Symbole verweisen aber nicht nur auf das Höhere, sondern sie stellen auch den Kontakt zu Gott und der Wahrheit her. Gemäß dieser frühen christlichen Auffassung dienen Symbole als Kommunikationshilfen zum Transzendenten. Selbst der deutsche Philosoph Ernst Cassirer geht noch zu Beginn des 20. Jh. davon aus, dass der Mensch durch die Symbole einen Kontakt zu den höheren Mächten bekommt, die er dann mit diesen Symbolen zu beeinflussen sucht. Nach ihm ist es weitgehend die Geistesgeschichte, die prägt, was ein Symbol symbolisiert. Der menschliche Geist verleiht also dem Symbol seine Bedeutung (eine klassisch neukantianische Ansicht), er ist der Sinnstifter.

Der Mensch ist der „homo symbolicus“ (F. Facchini, J. Ries u.a.). Die Bedeutung der Symbole wird von der kulturgeschichtlichen Epoche, die sie benutzt, maßgeblich beeinflusst. Das besagt zugleich, dass die Symbolbedeutung keine feste ist (wie es eher beim Zeichen zu erwarten ist) sondern eine dynamische, die sich mit Hegels Zeitgeist ständig ändert. Dass die Fackel den heimischen Herd und damit Heim und Familie bei den Römern symbolisierte, ist heute nur historisch von Belang, aber keineswegs mehr lebendige Symbolik.

Paul Ricoeur als Phänomenologe spielt das enfant terrible, wenn er davon ausgeht, dass ein Symbol unendlich Vieles bedeuten kann. Bedeutet ein Zeichen etwas Eindeutiges, so bedeutet ein Symbol Vieles. Gibt es da noch etwas nicht Zutreffendes? Diese Ansicht (die bereits im Hinduismus aufkam) darf nicht missverstanden werden. Sie besagt nicht, dass ein Symbol alles bedeuten kann in dem Sinne, dass die Zuordnung von Bedeutungen zufällig ist. Sie sehen es auch ein, dass ein Sofa schwerlich ein Fortbewegungsmittel symbolisieren kann, ein geballte Faust auch keinen Schlaf. Es muss Analogien geben (der Stoff aus dem die Assoziationen sind), also Parallelitäten oder ähnliche Muster zwischen Symbol und Symbolisiertem. Die oberflächlichsten ähnlichen Muster entsprechen der Konvention (Einlösung des Erwartungshorizonts). Hier liegt für mich die Grenze zwischen Symbol und Zeichen. Tiefergehende ähnliche Muster zwischen Symbol und Symbolisiertem bestehen oft darin, dass das Wesen des Symbols sich auf das Symbolisierte sinnvoll beziehen lässt. Das Wesen des Sofas im Beispiel oben ist die Ruhe. Dem Fortbewegungsmittel ist dagegen die Veränderung wesenhaft. Auf dieser Ebene kann keine symbolische Verbindung geknüpft werden. Nach Jung wäre das allerdings möglich, denn die Ruhe des Sofas steht komplementär zur Bewegung (Beziehung des Gegensatzes). Auf der Ebene der Traumsymbolik finden wir diesen komplementären Bezug häufig.

Die Erkenntnis der Verknüpfungsgesetze zwischen Symbol und Symbolisierten wird (im Gegensatz zum eindeutigen Zeichen) durch die Polysemie erschwert. Das meint, dass ein Symbol zugleich Unterschiedliches symbolisieren kann. Symbole besitzen durchweg Mehrfachbedeutungen – die meisten Symbole sind zumindest aus psychologischer Sicht polar. Sie können alles das bedeuten, das Ähnlichkeiten mit ihrer Struktur aufweist – damit ist die Auswahl der Bedeutungen eingegrenzt, wenn auch nicht notwendigerweise endlich.

Die Vieldeutigkeit eines Symbols ist zwar dem Positivisten ein Ärgernis, aber in ihr liegt die Stärke symbolischer Aussagen: sie können so das Leben in seiner Komplexität und Vielfältigkeit besser abbilden, als eindeutige Zeichensysteme. Mit der Eindeutigkeit kommt die Abstraktion ins Spiel, von der die Symbolik sich mit ihrem verschleiernden Charakter fernhält. Ein Symbol stellt nämlich sowohl etwas offen dar, als es auch verschlüsselt. Nur der „Eingeweihte“, der teilhat an der Welt dieser Symbolik, versteht sie. Ein Symbol ist grundsätzlich nur verständlich innerhalb eines symbolischen Systems (das sieht man deutlich an der Tiersymbolik des Mittelalters, die sich nur entschlüsseln lässt, wenn man den „Physiologus“ kennt, der die Assoziationen ganzer Generationen beeinflusste). Ein nicht-eingeweihter Betrachter kann die Symbolik nicht nur nicht entschlüsseln, sondern sie häufig gar nicht als solche erkennen. In esoterischen Kreisen ist diese Seite der Symbolik speziell betont worden. Sie gehen davon aus, dass es „normal“ ist, dass alles, was uns umgibt, symbolisch ist (auch Goethe vertrat vehement diese Ansicht). Aber nur der Bewusste weiß, die Ansprache durch das Symbol zu begreifen. Damit wird die Kenntnis der Symbolik mit etwas Elitärem verbunden, was sie schon immer war (z.B. Deutung des Vogelflugs und der Wolkenformen in der Antike durch eine hochgeehrte Gruppe von Priestern).

Nach Sigmund Freuds Sicht, die über den Franzosen Paul Diel mit seinem einflussreichen Werk über die Symbolik der griechischen Mythologie in die Archäologie und Kunstgeschichte hineinwirkte, entstammt jedes Symbol dem Unbewussten. Es muss deswegen uneindeutig sein, da dies den Produkten des Unbewussten wesenhaft ist. Das erkannte bereits Bernhard von Clairvaux im 12. Jh. intuitiv, wenn er vor der Verführungskunst bildhafter Symbole warnt. Symbole mit ihrem verhüllenden und zugleich offenen Charakter können wie das Weib die Fantasie des Mannes auf Abwegen führen. In der Vieldeutigkeit eines Symbols liegt seine Verführungskraft.

Weniger moralisch betrachtet, könnte man das Symbol als Mitte zwischen Logos und Mythos betrachten: es vereint das direkt Klare (Logos) mit dem Bildlichem, dem Geheimnis (Mythos) und damit verbinden sich Männliches und Weibliches in ihm.

Als Abkömmling des Unbewussten wird ferner dem Symbol stets eine emotionale Wirkung nachgesagt, die Zeichen oft vermissen lassen. In der therapeutischen Betrachtung von Symbolen wird davon ausgegangen, dass ein Symbol erst dann verstanden ist, wenn es sowohl intellektuell als auch gefühlsmäßig begriffen wurde.

Meine Vorstellung, wie ein Symbol zu seiner Bedeutung kommt

Jedes Symbol schafft ein Bedeutungsfeld, das vom essentiellen Muster dieses Symbols geprägt ist (es geht auf den gleichen Archetyp zurück). Alles, was Schnittmengen mit diesem Muster zeigt, kann symbolisiert und womöglich zugleich angesprochen sein. Schnittmengen zeigen sich in Analogien (Musterübereinstimmungen) zwischen Symbol und Symbolisiertem. Diese Analogien folgen meist den Mustern des Gegensatzes, der Zuspitzung und der Verschiebung und sind wahrscheinlich in letzter Instanz vom Unbewussten bestimmt. Analogien erschließen sich häufig über die ursprüngliche Funktion des entsprechenden Symbols (in sprachgeprägten Gesellschaften wie dem Christentum und Islam auch über die Etymologie des Symbolbegriffs).

Ist die Deckung zwischen Symbol und Symbolisiertem vollständig, sprechen wir vom Zeichen. Die Eindeutigkeit des Zeichens besitzt im Alltagsbereich Vorteile. Das vieldeutige Symbol hat Vorteile, wenn es um den Ausdruck komplexer (psychologischer) Bedeutungen geht.

Ist die Deckung von Symbol und Symbolisiertem gering, verliert die Symbolisierung an Kraft. Man würde sagen: „sie ist an den Haaren herbeigezogen“. Die meisten Mitglieder der entsprechenden Kultur würden sie nicht mehr spontan verstehen (das geschah der alchimistischen Symbolik speziell in ihrer Spätzeit). Bei fehlender Überschneidung gehören die Bedeutungsfelder unterschiedlichen Symbolsystemen an, die Ausdruck verschiedener Kulturen sind.

Mich verwunderte, als ich Ansichten zur Symbolik sammelte, dass sich fast jeder große Denker seit dem 19. Jh. zur Symbolik geäußert hat. Zu Beginn des 20. Jh. wurde – durch das von Ferdinand de Saussure geweckte Interesse an der Linguistik – die Frage aufgeworfen, was bedeutet was und nach welchen Regeln entsteht eine solche Bedeutungsverknüpfung. Solch eine Fragestellung schuf die idealen Voraussetzungen, sich über Symbolik Gedanken zu machen. Das geschah dann im Strukturalismus (der hier mit de Saussure, Levy Strauss, Ricoer und Lacan gebührend zu Worte kam).

Meister im Umgang mit der Symbolik ist das heutige Marketing. Der Gebrauchswert einer Ware tritt zunehmend hinter ihrem symbolischen Wert zurück. Mit Nike, Armani oder Porsche kauft man ein Imagesymbol, das ein großes Feld positiver Bedeutungen evoziert. Wenn man das Objekt des Begehrens besitzt, dann ist man glücklich. Man hat das Gesuchte gefunden. Das Symbol hat funktioniert. Die Einheit ist hergestellt. Dass es sich hierbei um den symbolischen Schein der Warenwelt handelt, mag dem zeitgeistigen Sein keinen Abbruch tun.

Zum Abschluss noch eine Betrachtung von Phänomenen, die oft mit der Symbolik verwechselt werden.

Symbol und Allegorie

Im Gegensatz zum Symbol verbildlicht die Allegorie eine abstrakte Idee (meist in einer Person dargestellt – z.B. der Teufel als Allegorie des Bösen) oder stellt sie in einer Erzählung dar. Die Allegorie umschreibt eine Sache, die bereits bekannt ist, während das Symbol etwas beschreibt, das nicht anders ausdrückbar und meistens nicht vollständig bekannt ist.

Die römische Ikonografie stellt fast immer Personifizierungen von Abstraktem dar und tendiert so häufig zur Allegorisierung. Von der Antike bis ins Barock war die Allegorie im kirchlichen und weltlichen Bereich beliebt.

Symbol und Attribut

Das Attribut weist auf eine göttliche oder seltener eine menschliche Figur, die stets mit diesem Attribut zusammen auftritt (z.B. der Hammer ist das Attribut Thors). Attribute dienen der Deutung ihres Eigentümers.

Symbol und Bild

Auch Symbole drücken sich bildlich aus, aber ein Bild drückt das aus, was es darstellt. Im Gegensatz zum Symbol verweist es nicht auf etwas anderes. Wenn wir das genau betrachten, ist diese Unterscheidung problematisch, denn auch jedem Bild wohnt die Tendenz inne, über sich hinaus zu weisen. Die Fotografie eines Picknicks verweist vielleicht auf Idylle und Unbeschwertheit, aber diese Konnotationen machen nicht die Grundaussage des Fotos aus (sie schwingen nur mit). Beim Bild steht das Dargestellte im Vordergrund und beim Symbol wird etwas dargestellt, um auf etwas anderes zu verweisen. Das Bild einer roten Rose hat nur jene rote Rose zum Thema. Die rote Rose als Symbol verweist auf die Liebe – mit ihren Dornen als Symbol des Verletzenden.

Mit dem Paläolithikum kommt das Bild als grafische Darstellung auf, was ein wesentlicher Entwicklungsschritt in der Nutzung der Symbole darstellte. Der magische Gebrauch der Symbolik reicht bis in diese Zeit zurück.

Symbol und Emblem

Emblem stammt vom griech. „emblema“ ab, was „Einlegearbeit mit Symbolgehalt“ bedeutet. Es ist eine hauptsächlich im Barock beliebte Kunstform, in der ein Bild mit einem Text verbunden wird. Der Sinn des Bildes wurde vom Text (meist ein Epigramm) erläutert. Das Emblem gehört in die Welt der Zeichen und nicht in die der Symbole, da es etwas eindeutig bezeichnet (was heute allerdings meist nur noch mit Spezialkenntnissen zu entschlüsseln ist).

Ferner werden Embleme (ohne Text, nur Sinnbild) oft von sozialen Gruppen genutzt, um eine politische, religiöse oder soziale Einheit zu zeigen. Das Hakenkreuz war zuerst das Emblem der NSDAP und dann der Faschisten in Europa und USA.

Symbol und Gleichnis

Bei einem Gleichnis wird ein Konzept oder eine Situation durch einen anschaulichen Vergleich verdeutlich. Wie häufig beim poetischen Gleichnis kann die Bilderwelt ausgeschmückt werden und wie beim biblischen Gleichnis eine epische Breite aufweisen. Im Gegensatz dazu ist das Symbol eine knappe auf dem Punkt gebrachte Darstellung von etwas anderem.

Symbol und Metapher

Die Metapher ist ein sprachliches Bild oder wie ich es mir als Eselbrücke merkte: ein Vergleich bei dem das Wie ausgefallen ist. „Die umwölkte Stirn“ war z.B. eine beliebte klassische Metapher. Nach Ricoer stellt die Metapher den linguistischen Aspekt des Symbols dar. Es sind die sprachlichen Assoziationen, welche Bilder wie „die Blitze ihrer Augen“ schufen. Dass der Blitz in diesem Fall Aggressionen symbolisiert, ist offensichtlich. Besonders die romantischen Dichter beschäftigten sich mit der Metaphorik und Symbolik, die nach ihrer Auffassung den Rezipienten mit einer Anderswelt verbinden, die nur poetisch ausdrückbar ist. Wie im Neuplatonismus werden Metaphern wie auch alle Symbole als Kommunikationsmittel mit etwas sonst Unzugänglichen angesehen. Sie sind der Schlüssel zu einer Anderswelt, die allerdings keineswegs göttlich sein muss, wie Mary Shelleys „Frankenstein“ und die Entdeckung des Horrors in der Romantik zeigen.

Literatur

Die Literatur zum Thema Symbolik ist äußerst umfangreich. Einen Überblick gibt

M. Lurker: Bibliographie zur Symbolkunde. Baden-Baden 1964

Die neuere Literatur zu diesem Thema finden Sie in der periodischen Bibliografie

Bibliographie zu Symbolik, Ikonographie und Mythologie (regelmäßige Veröffentlichung von 1968-1980)

Zeit im Traum

 

In der Welt der Quantenphysik gibt es letztendlich keine Zeit, weder ein Vorher noch ein Nachher und die Frage nach dem Wann spielt keine Rolle

Malcolm Godwin: The Lucid Dreamer

Wer sich ins Land der Träume begibt, erlebt das oft als Verwirrung. Er taucht in eine Welt ein, die Kants Ansicht Lügen straft, dass Raum und Zeit feste Determinanten unserer Welt sind. Schreiben Sie ihre Träume auf, ist es oft schwierig zu entscheiden, was geschah vorher, was nachher. Scheinbar geschah alles zugleich, die unbarmherzige Ordnung der Zeit eine Illusion.

Schlimmer wird es noch, wenn wir vorausweisende Träume betrachten, deren Existenz selbst der kritischte Geist nicht verleugnen kann. Für den bequemen Denker liefert die Zeitdeterminierung, wie wir sie aus dem Hinduismus kennen, eine willkommene Erklärung. Alles ist vorausbestimmt, auf Palmblättern oder in der Akasha-Chronik, die Madame Blavatsky eifrig las,  niedergelegt. Diese Schicksalsgläubigkeit findet ihre Sicherheit in einem determinierten Leben, in dem der Mensch denkt und eine Gottheit lenkt. Der Idee des freien Individuums, der wir mehr oder weniger bewusst huldigen, ist das ein Schlag in Gesicht.

Glücklicherweise bietet die moderne Physik seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts einen akzeptablen Ausweg. Die Zeit ist relativ – uns fällt ein Stein vom Herzen. Was heißt das nun in Bezug auf den Traum?

Wenn wir träumen, dann verändert sich unser Hirnwellenmuster. Denken Sie sich das wie bei einem Radio: mit dem veränderten Hirnwellenmuster stellen Sie einen anderen Sender ein. Den anderen Sender können Sie auch als ein anderes Universum ansehen. Nun hilft uns John Wheeler, der Musterschüler Einsteins, weiter, der mit seinen Kollegen Everett und Rhiner eine Theorie von Paralleluniversen vorschlug. In den unterschiedlichen Universen, die alle übereinander geschichtet bestehen, gibt es unterschiedliche Zeitverhältnisse. Kommen wir zurück zum vorausweisenden Traum: mit diesem haben wir uns in ein Universum eingeschaltet, in dem die Zeit rückwärts fließt. Zuerst kommt die Zukunft, dann die Gegenwart und am Schluss löst sich alles in der Vergangenheit auf. Das ist wie beim Merlin der Artussage, der in der Zeit rückwärts lebt und deswegen der clevere Berater von König Artus sein kann. Auf den ersten Blick scheint dies auch wie eine Determinierung auszusehen, man könnte meinen, die Zukunft sei bestimmt. Das ist sie aber dennoch nicht, da alle Aussagen der Quantenphysik Wahrscheinlichkeitsaussagen sind, aber keine Notwendigkeiten.

Angesichts dieses Phänomens der Zeitumkehr muss unsere Sprache kapitulieren, denn ihre sinnstiftende Ordnung, die Grammatik, ist an unsere „normale“, von der Vergangenheit in die Zukunft fließende Zeit gebunden. Wenn wir aus einem Traum aufwachen, dann kommen wir aus einem zeitlosen Raum ins zeitgebundene Bewusstsein an. C.G. Jung geht davon aus, dass unser Bewusstsein sich komplementär zu unserem Unbewussten verhält. Das Unbewusste kennt keine Zeit, was die Freiheit in der Traumwelt ausmacht, das Bewusste braucht die Ordnung der Zeit, damit wir uns orientieren und zielgerichtet handeln können. Wenn wir also einen Traum erinnern, wendet unser Bewusstsein ein Trick an: es bearbeitet den eigentlichen Traum, dass er sprachlich ausgedrückt werden kann und dass wir ihm einen Sinn geben können. Das geschieht freilich nicht immer vollständig und so bleibt eine leichte Verwirrung bei vielen Träumen übrig, was denn nur im Traumgeschehen vorher und was nachher war.

Nur in unserem Unbewussten sind wir wirklich frei, deshalb können wir dort jenseits unserer alten Muster wahrnehmen und reagieren. Mathematiker schlugen vor, unser Unbewusstes als den Hilbert-Raum zu betrachten, in dem es keine Strukturierung gibt, außer jener, die der Betrachter in ihn hineinsieht. Das ist das postmoderne „every goes“. So ist es auch einsichtig, dass sich der Traum in Bildern mitteilt und höchst selten nur in Sprache. Im Bild ist im Gegensatz zur Sprache alles zugleich. Im Bild als solches gibt es keine Zeitgebundenheit, dort ist alles zeitgleich vorhanden.

Kommen wir zurück zum Phänomen des vorausweisenden Traums. Von vorausweisenden Träumen berichten Personen, die man in der USamerikanischen Forschung als „begegnungsanfällig“ bezeichnet. Das ist keineswegs eine psychologische Störung, sondern nur die Umschreibung dessen, was der Laie als „sensibel“ bezeichnet. Oft muss ich meine Hörer enttäuschen, wenn ich sage, dass zum einen vorausweisende Träume erst dann als solche bestimmt werden können, wenn die Voraussage eingetreten ist – und ob man dann nicht dann besser von selbstbestimmter Prophezeiung oder einem sich durchsetzenden Muster redet, ist eine andere Frage – und zum anderen diese Träume häufig nichts Bedeutendes voraussagen. Echte Warnträume, die stets die Gemüter anziehen, sind wesentlich seltener als gemeinhin angenommen wird. In der Antike wurden weitgehend nur diese Träume betrachtet, aber gleichzeitig lehrt uns die Geschichte, dass die Warnungen wie bei Caesars Ermordung und Kassandras Rufe nie befolgt wurden. Unser Bewusstsein arbeitet nach dem Prinzip, es darf nicht sein, was nicht sein kann und deswegen werden den Warnungen nicht geglaubt.

Wer es noch genauer wissen möchte, findet im Folgenden einen gekürzten Aufsatz von mir, den ich vor Jahren zu diesem Thema veröffentlichte

Das Universum träumt

Die Leere und der Raum waren wie die Zeit, oder die Zeit war wie die Leere und der Raum; war es dann also nicht denkbar, […], dass es dann Universen mit verschiedenem Zeitmaß gibt? Ist nicht gesagt worden, dass auf Jupiter ein Tag so lange dauert wie ein Jahr?

Umberto Eco: Die Insel des vorigen Tages

Relative Zeit & prophetische Träume

Ganz unfassbar ist für uns „zeitgeplagte“ Menschen, dass in den Sprachen der Aborigines weder Zeit noch Geschichte – wie im Traum – ein konkrete Rolle spielt. Es gibt zwar die Vorstellung „vor langer, langer Zeit…“, die unserem „es war einmal…“ entspricht, aber eine weitere Zeitdifferenzierung scheint auf dieser Ebene uninteressant zu sein. Sie wissen nicht, was vorher und was nachher war. Das scheint für die Ebene des Traums und der der Mythen Australiens nicht wesentlich zu sein.

Zeit ist eine Illusion

Ich möchte Sie zu einer Vorstellungsreise in ein quantenphysikalisches Konzept einladen, das besagt, dass die Zukunft darüber entscheidet, was in der Gegenwart geschieht.

Albert Einstein regte den amerikanischen Physiker John A. Wheeler und den englischen Astronomen Fred Hoyle an, die Relativität der Zeit genauer zu untersuchen. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts war es durch die Relativitätstheorie deutlich geworden, dass unser lineares Konzept von einer gleichmäßig in einer Richtung ablaufenden Zeit nur eine Möglichkeit unter vielen darstellt. Bei der Beobachtung subatomarer Teilchen stellte man fest, dass die Zeit, die unsere Uhr misst, augenscheinlich nicht die einzige mögliche Zeit ist. Amerikanische Quantenphysiker wie Wheeler und Rhiner nahmen Reflexwellenwellen an, die in der Zeit rückwärts wirken. Das bedeutet, das zukünftige Ereignis wirft einen Schatten voraus. Es beeinflusst mit Hilfe dieser Reflexwelle alles das, was zuvor geschieht. Mit anderen Worten: Die Zukunft wirkt auf die Vergangenheit. Damit ist unser normales Zeitverständnis auf den Kopf gestellt.

Der britische Astronom Fred Hoyle hat sich seit etwa 1940 ausgiebig mit der Zeit aus dem Blickpunkt der Relativitätstheorie Einsteins beschäftigt. Er geht von der Theorie der parallelen Welten aus, die durch die amerikanischen Physiker Everett, Wheeler und Rhiner bekannt geworden ist. Danach kann man sich unser Universum wie einen Käsetoast vorstellen. Dieser Toast besteht aus drei Ebenen. Der Käse steht dabei für eine Welt, die Butter und das Brot für andere Welten. Dabei kann sich jede Welt von der anderen unterscheiden. Jede dieser Welten besitzt ihre eigene zeitliche Ordnung. In der Welt, die wir als „unsere Realität“ bezeichnen, läuft die Zeit von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft. In anderen Welten gibt es andere Zeitverhältnisse wie beispielsweise die zyklische Zeit (ein Vorstellungsmodell matriarchaler Kulturen) oder die Zeit, die rückwärts läuft.

Die Realität, die wir im Traum wahrnehmen, ist nicht nur eine dieser Welten, sondern die Überlagerung vieler Welten. Das bedeutet, dass die verschiedenen Schichten unseres Käsetoasts durchscheinend gedacht werden müssen. Wir können also erahnen, was auf anderen Schichten geschieht. Wir erleben also zugleich Zukunft und Vergangenheit. Das verwirrt.

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der die Wirkung vor der Ursache liegt. Vom Standpunkt des Beobachters aus läuft aber die Zeit nicht nur rückwärts, sondern zugleich befindet er sich in unserer Alltagswelt, in der die Zeit vorwärtsläuft. Er findet sich also in einem System von Überlagerungen wieder. Die Quantenphysik geht davon aus, dass wir uns diesen Zustand als ein Treffen von zwei Wellen vorstellen können: Eine Welle, die von der Vergangenheit in die Zukunft verläuft und eine andere Welle, die in der entgegengesetzten Richtung von der Zukunft in die Vergangenheit läuft. Der Quantenphysiker nimmt also an, dass Ereignisse, die noch nicht eingetreten sind, eine Welle erzeugen. Diese Welle wird beim voraussagenden Träumen dekodiert und in Bilder umgesetzt.

Traumforscher wie Montague Ullman und sein früherer Mitarbeiter Stanley Krippner untersuchten den Unterschied von prophetischen Träumen und gewöhnlichen Träumen. Sie nehmen an, dass beim gewöhnlichen Traum die erinnerten Tageserlebnisse mit im Gedächtnis gespeicherten Assoziationen und Vorstellungen von der Zeit widerspruchsfrei verbunden werden. Wir fügen die Bilder des Traums unserer Zeitvorstellung entsprechend zusammen und lassen diesen Traum so zu einer Geschichte werden. Die Bilder dieser Traumgeschichte werden aus sich überlagernden Hologrammen der Gehirnrinde erzeugt.

Beim vorausweisenden Traum dagegen werden die Bilder aus Hologrammen erzeugt, die von Wellen aus der Zukunft und aus der Vergangenheit produziert werden und so Abweichungen von unserer gewohnten Zeitstruktur aufweisen. Das verwirrt unsere „normale“ Wahrnehmung, da es in unglaublicher Weise von unserer Schulweisheit abweicht, dass wir die Zukunft sehen können.

Es stellt sich die Frage, warum der Träumer bisweilen seinen Empfangsmechanismus umstellt, und so prophetische Träume als Schnittpunkt zweier gegenläufiger Wellen empfängt. In den meisten Fällen hat er jedoch diesen Empfangsmechanismus für prophetische Träume abgeschaltet.

Der Engländer Michael Persinger hat als erster vor zehn Jahren Personen untersucht, die zu voraussagenden Träumen neigen. Das scheinen solche Menschen zu sein, die überempfindlich auf die elektrischen Aktivitäten ihres Temporallappens reagieren. Diese Menschen sind zugleich Individuen, die keinen starr fixierten Erwartungshorizont besitzen und so für neue Erfahrungen offen sind. Ob das wiederum an ihrer sensiblen Wahrnehmung der elektrischen Zustände ihres Temporallappens liegt oder nicht, konnte bis heute nicht geklärt werden.

Voraussagende und gewöhnliche Träume unterscheiden sich nach dem Physiker F.A. Wolf in bezug auf die Datenmenge, die ihnen zur Konstruktion ihrer Bilderwelten zur Verfügung steht. Dabei schöpft der voraussagende Traum aus einem unbegrenzten Datenreservoir – nämlich dem der Vergangenheit und der Zukunft. Dem gewöhnlichen Traum steht dagegen nur das vergleichsweise eng begrenzte Datenreservoir der Vergangenheit zur Verfügung. Es bleibt jedoch offen, warum einmal auf ein unendliches und ein anderes Mal auf ein endliches Datenreservoir im Traum zurück gegriffen wird. Traumforscher können bis jetzt nicht erklären, warum ein und die gleiche Person bisweilen vorausschauend träumt und dann wieder „normal“. Selbst begnadete Medien wie der Amerikaner Edgar Cayce haben nicht ausnahmslos vorausdeutend geträumt. Er selbst berichtet von „ganz normalen Träumen“, die sich mit prophetischen Träumen abwechselten.

Meiner Theorie zufolge kann das Unbewusste immer unendlich viele Daten aus der Zukunft und der Vergangenheit verarbeiten. Stellen Sie sich vor, dass Ihr Unbewusstes Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wie Länder überblickt, die man von einem Berg aus sieht. Es verbindet diese Ausblicke zu einem komplexen Bild, wobei es Einblicke aus der Zukunft und der Vergangenheit miteinander verbindet.

Man kann sich das Unbewusste auch wie einen Maler denken, der Farben kombiniert, um zu einer bestimmten Aussage zu kommen. Gelb ist die Zukunft und Blau die Vergangenheit. Der Maler benutzt und mischt diese beiden Farben, um seine Aussage zu vermitteln. Genauso mischt und kombiniert unser Unbewusstes Daten aus der Zukunft und Vergangenheit, um sie zu einer für uns wichtigen Bedeutung neu zu kombinieren. Diese Kombination ist das Traumbild, das sowohl „gewöhnliche“ wie auch prophetische Aspekte aufweist. Wenn der Träumer Voraussagen in seinen Träumen bemerkt, werden sich mehr und mehr prophetische Träume einstellen, da dieser Träumer lernt, sich auf solche Voraussagen einzustellen. Ein prophetischer Traum erhöht also die Wahrscheinlichkeit weiterer vorausweisender Träume.

Ich und Es – die beiden unterschiedlichen Geschwister

Das Es besitzt den Überblick über Zukunft und Vergangenheit, indem es in assoziativer Weise zwischen den Zeiten hin- und herpendeln kann. Das Ich dagegen ist eine relativ starre Struktur, die zeitlich linear geordnet ist. Das Ich besitzt ein klares zeitliches Konzept, es kann nicht in die Zukunft sehen. Das Freudsche Es dagegen neigt paranormalen Wahrnehmungen wie der Prophetie zu, was Sigmund Freud klar gesehen hat. Freud sagte 1935, dass der Traum, uns für paranormale Erlebnisse öffnet, und tritt damit der noch heute weitverbreiteten Auffassung des römischen Politikers Cicero entgegen, der die Weissagung von Träumen als reinen Aberglauben abtat. Allerdings, so führte Freud weiter aus, ist die Fähigkeit zur Voraussage im Laufe der phylogenetischen Entwicklung durch effektivere Kommunikationsmethoden in den Hintergrund gedrängt worden. Das ist verständlich, da wir in unserer heutigen Umwelt ein gewisses Maß an Sensibilität opfern müssen, um die Menge der auf uns einstürzenden Daten effektiv zu verarbeiten.

Das Es besitzt schon allein durch seine Struktur die latente Fähigkeit, in bestimmten Bewusstseinszuständen wie dem Traum Voraussagen zu machen. Dem Ich sind diese Fähigkeiten aufgrund einer anderen Strukturierung fragwürdig und es versucht die Voraussage im Traum zu unterdrücken, da sie seine Ordnung stört. Deswegen erkennen wir häufig nicht die Voraussage in einem Traum.

Der Traum als Schrift

We are a pattern-loving, exception hating species
Steven Pinker

Die Welt ist die Handschrift einer anderen, niemals völlig lesbaren Welt; allein die Existenz entziffert sie
Carl Jaspers

Hans Blumenberg erinnert uns in seinem Wissenschaftsklassiker „Die Lesbarkeit der Welt“ daran, dass der Traum seit der frühen Neuzeit unsere Wirklichkeitsauffassung problematisiert. Mit dem Sich-Wundern über den Traum löste der Traum das Wunder ab. Descartes und Leibniz versuchten brieflich zu klären, ob das Leben ein konsistenter und endloser Traum sei. Die Frage der Abgrenzung zwischen Traum und Wirklichkeit konnten sie trotz allen aufklärerischen Elans nicht lösen. Ihnen erging es wie Tschuang Tse (4. Jh. v.u.Z.), der sich in seinem berühmten Schmetterlingstraum fragt, wer denn wen träumt – der Schmetterling ihn oder er den Schmetterling.

Heute erkühnt sich niemand mehr, Traum und Wirklichkeit scharf von einander zu trennen – sie sind siamesischen Zwillingen gleich nicht auseinander zu reißen.

Das Rätsel „was ist die Wirklichkeit – was ist Traum?“ führt den Denkenden zu der Wahrnehmung. Sie lässt uns etwas als wirklich oder traumhaft erleben. Je mehr etwas von unserer erwarteten Wahrnehmung abweicht, desto eher sind wir gedrängt es als traumhaft zu bewerten. Aus diesem Grund wird uns im Traum am ehesten bewusst, dass wir träumen, wenn wir mit dem Unwahrscheinlichen, also einer großen Abweichung von unseren Erwartungen konfrontiert werden. Die Wahrnehmung entscheidet simpel: Wenn wir ohne Hilfsmittel fliegen können, muss es ein Traum sein, genauso verhält es sich, wenn Bäume reden oder mit ihren Zweigen nach einem greifen. Es kommt zu einer einfachen Gleichung: wirklich ist das Wahrscheinliche, das Unwahrscheinliche ist traumhaft. Was als wahrscheinlich oder unwahrscheinlich bewertet wird, ist eine Frage des Zeitgeistes.

Was sehen wir aber wirklich? Zunächst nur Bilder und Symbole, die mit anderen Bildern und Symbolen erklärt werden – was wir Deutung nennen. Der Traum zeigt sich (wie die Wirklichkeit) in einer Bilderschrift, weswegen Freud nach der Lektüre der Schriften des Begründers der modernen Linguistik Ferdinand de Saussure in seiner „Traumdeutung“ schreibt, der Traum sei einer Schrift vergleichbar. Er ist eine schriftliche Mitteilung an uns, die wir wie jeden anderen Text verstehen können, da wir diese Schrift kennen (wahrscheinlich eine angeborene Fähigkeit).

Schrift ist ein Supplement für das Gedächtnis wie schon die leidige Einkaufsliste zeigt. Die Bilderschrift des Traums erinnert uns an das Repertoire unserer Möglichkeiten und an Vergangenes, das heute noch wirkt. Schrift möchte stets etwas bewahren. Was bewahrt der Traum? Die Erinnerung an die Umstände, als sich grundlegende Muster in uns ausbildeten (die Freud dogmatisch in der frühen Kindheit ansiedelt). Erst wenn wir die Entstehung der Muster wieder erleben, können wir sie bewusst einsetzen, modifizieren oder auf sie verzichten – je nach der Situation. Alle Entzifferung der Traumschrift zielt somit auf Mustererkennung und gerade in der Unwahrscheinlichkeit des Traumbilds zeigen sich unsere Wahrnehmungsmuster deutlicher als im Gewohnten, das uns blind macht.

Wir lösen das Bilderrätsel, wenn wir den Diskurs der Nacht in jenen des Tags übertragen. Die Bedeutung eines Bilds oder einer Bildsequenz ist ein Link zur inneren Datenbank des Träumers/der Träumerin. Wird Wasser im Traum als verschlingend erlebt, ist dies ein gesetzter Link – oder besser gesagt: ein Link, der sich selbst gesetzt hat. Die Analyse solcher Verlinkungen zeigt Muster, die prägend für die Wahrnehmung und somit für die Konstituierung der Wirklichkeit für den Träumer/die Träumerin ist. Wer Wasser mit Verschlingen verlinkt, der hat sich eine Welt geschaffen, die von der Furcht vor Wasser geprägt ist. Menschen, die sich verstehen (einer Kultur angehören), teilen einen Großteil der Link-Muster, was sich in der Wirkung der Traumbildern von Werbung und PR deutlich zeigt. Aber Link-Muster erzeugen auch Streit: Der einzelne sieht seine Link-Muster als einzigartig und individuell. Ein Beobachter tendiert dazu, in diesem Link-Mustern Typisches zu sehen. Im Link-Muster zeigt sich beides zugleich:

das System der Sprache (das Überpersönliche, Regel), das die Grundlage des Verstehens ausmacht

die Wirkung der Erfahrung (das Persönliche, Regellosigkeit), die das persönliche Verständnis der Bildersprache ausmacht.

Die Quelle der Träume ist das Es. Es entzieht sich anarchisch jeder Einordnung. Wie in der Bilderschrift der Träume durchdringen sich Regelhaftigkeit und Regellosigkeit in ihm.

Damit eine Schrift und deren Verständnis funktioniert, bedarf es beider Strukturen: Code (die Sprache als System, Grammatik) und Nachricht (Sinn, Gehalt). Man ist zugleich mit zwei Seiten der Schrift konfrontiert, mit dem Sinn, der von der Bilderschrift bezeichnet wird, und mit dem Schriftzeichen an sich. Der Sinn ist die Deutung, die wir der Schrift der Bilder geben. Diese Bilderschrift des Traums ist also weder persönlich oder individuell, wie das Herz des Romantikers es sich vorstellt, noch ist sie allgemein. Sie ist stets beides, wobei ihr allgemeiner Anteil von der Ideologie der Umgebung des Träumers geprägt ist (was Freud als Über-Ich bezeichnete), ihr persönlicher Anteil dagegen von seiner Privatideologie (Ideologie könnte man als ein bestimmtes typisches Link-Muster fassen). Dass das eine vom anderen nicht zu trennen ist, macht das Wesen jeder Schrift und Sprache aus.

In jedem von uns gibt es ein allgemeines Set von Regeln, das zeigt, welche Bildkombinationen als sinnvoll zulässig sind. Alles, was außerhalb dieser Regeln liegt, erleben wir als chaotisch und unwahrscheinlich, wenn nicht gar als unmöglich – kurzum es ist unlesbar für uns. Diese Regeln sind produktiv, da sie kombinatorisch wirken, d.h. sie erzeugen eine unendliche Menge von neuen Bildern. Archetypen generieren weitere Bilder in einem verzweigten Baum, der mit dem unserer inneren Enzyklopädie persönlicher Erfahrungen verlinkt ist. Die furchtbare Mutter als Abkömmling des Archetyps der Anima wird zur realen Mutter im Traum und kann von jeder als böse empfundenen weiblichen Person dargestellt werden – je nach individueller Verlinkung. Nur der Naive wähnt, dass diese persönliche Verlinkung nach der Devise „everything goes“ Freiheit bedeutet.

Jeder, der sich mit der Bilderschrift im Traum beschäftigte, kommt nicht umhin deren Doppeldeutigkeit zu erkennen. Der Traum teilt sich in symbolischen Bildern mit, die von einem überpersönlichen Konzept generiert werden (was in Symbollexika betont wird) und welche die persönliche Erfahrung des Träumers/der Träumerin individuell überarbeiten. Es ist wie bei allem Geschriebenen: auf der einen Seite ähnelt es sich, auf der anderen ist es individuell. Da jeder Text einen Metatext (Watzlawik) erzeugt, den wir als Deutung erleben, sollten wir aus unseren Träumen eine neue Geschichte schreiben, die wir uns erzählen und die unser Ich befriedigt. Wir konstituieren ständig unsere Welt mit solchen Geschichten, die wir uns freilich unbewusst erzählen. Traumdeutung dagegen ist ein bewusstes Geschichtenerzählen.

Traumdeutungstipps

Traumdeutungstipps
Grundsätzliche Vorgehensweisen bei der Traumdeutung

Betrachten wir einen Traum, ergeben sich grundsätzlich zwei unterschiedliche Fragestellungen. Es hängt vom Erkenntnisinteresse des Träumers bzw. der Träumerin ab, mit welcher Fragestellung wir uns deren Traum nähern. Man kann diese beiden Fragestellungen als zwei unterschiedliche, aber miteinander verbundene Ebenen der Traumdeutung ansehen.

Wunsch nach Erkenntnis der Zusammenhänge und Muster der eigenen Persönlichkeitsentwicklung.
Das erkenntnisleitende Interesse (J. Habermas) ist ein tiefenpsycholgisches. Es geht um die Bewusstwerdung von Mustern, die sich im Leben des Träumers / der Träumerin wiederholen. Dies ist der Blick auf neurotische Tendenzen in Sinne Freuds, der davon ausging, dass die Neurose ein unbewusstes, sich wiederholendes Muster ist, das uns unglücklich macht oder uns in unserer Persönlichkeitsentfaltung hemmt. Letztlich steht hinter dieser Traumbetrachtung die Frage: „Wer bin ich?“

Wunsch nach Erkenntnis der Potenziale und Möglichkeiten der eigenen Person in der momentanen Lebensphase.
Bei dieser Fragestellung richtet sich das erkenntnisleitende Interesse auf die Möglichkeiten der Träumerin oder des Träumers. Es stellen sich folgende Fragen
Was ist mir möglich?
Welche meiner Möglichkeiten lebe ich und welche nicht?
Diese Fragen sind häufig erst dann sinnvoll, wenn sich die Träumerin oder der Träumer mit sich selbst auseinandergesetzt haben oder der Inhalt des Traumes eine mögliche Erkenntnis der (nicht gelebten) Potenziale nahe legt.

Je dringlicher sich die entsprechende Frage stellt (Leidensdruck, Erkenntnisdruck), desto eher kann die Antwort durch die Bearbeitung des Traums erwartet werden.

Es erscheint oft sinnvoll, beide Fragestellungen zu beachten, bzw. auf beiden Ebenen zu arbeiten. Es ist auch möglich, mehrere Fragen zu stellen. Dabei wird sich herausstellen, welchen Themenkreis der Traum vorrangig behandelt. Auf einer tieferen Ebene hängen die erste und die zweite Fragestellung zusammen, da Selbsterkenntnis kein „An-Sich“ (I. Kant) ist, sondern ein „Für-Sich“, d.h. Selbsterkenntnis ist kein Selbstzweck, sondern wird betrieben, um mehr Möglichkeiten in seinem Leben zu sehen und zu realisieren.

Anhand des Inhalts des Traumes (der sich semantisch und strukturell zeigen kann) und der momentanen Lebenssituation sollte zusammen mit dem Träumer / der Träumerin überlegt werden, mit welcher der beiden Fragestellungen man die Traumbetrachtung beginnt. Im Sinn der Klarheit des Vorgehens ist es wichtig, beide Fragestellungen klar auseinander zu halten.

Die Klienten besitzen ein unterschiedliches Erkenntnisinteresse, ein unterschiedliches Bewusstsein und stehen an unterschiedlichen Positionen in ihrem Leben. Diese Variablen erzeugen ihre vordringliche Fragestellung.

Diese beiden unterschiedlichen Herangehensweisen (Fragestellungen), beeinflussen alle Ebenen der Traumdeutung.

 

Die Ebenen der Traumdeutung

Ebene 1a der Traumdeutung: Begegnung mit dem Ich (Persönlichkeitsentwicklung)

Im Zentrum dieser Ebene steht die Betrachtung der Entwicklung der Persönlichkeit. Der Fokus liegt darauf, Parallelen zu erkennen und zwar

Parallelen, die sich z.Zt. in den verschiedenen Lebensbereichen des Träumers oder der Träumerin zeigen (z.B. Beruf, Beziehung, Hobbys, etc.)

Parallelen, die sich in der Lebensgeschichte dieses Träumers oder der Träumerin zeigten (Wiederholungsstrukturen im Lebenslauf)

Das Erkenntnisinteresse ist auf Mustererkennung ausgerichtet. Diese Muster geben die Wahrnehmungseinstellung (Montagepunkt) des Träumers und der Träumerin wieder.

Es stellen sich folgende Fragen:

Wie nehme ich mich wahr?

Wie nehme ich meine Umwelt wahr?

Mit welcher Frage bezüglich der Entwicklung meiner Persönlichkeit gehe ich an den Traum heran?

Diese Fragestellung wird auf den folgenden vier Ebenen betrachtet:

Auswahl der Symbole
Welche Symbole scheinen geeignet, dem Träumer / der Träumerin eine Antwort auf ihre Fragen zu geben?
Dazu wird betrachtet, aus welchen Bereichen die Symbole des vorliegenden Traums stammen. Das gibt einen ersten Hinweis darauf, von welcher Perspektive aus die Träumerin / der Träumer sich selbst und die Welt wahrnehmen (Erkenntnis des Montagepunkts)

Assoziationen zu den Symbolen
Welche Assoziationen sind hilfreich bezüglich der Antwort auf die Fragen der Träumerin / des Träumers und welche nicht?
Insbesondere werden Assoziationen analysiert, welche die Vergangenheit des Träumers / der Träumerin betreffen. Es werden die Assoziationen zu den Symbolen genauer betrachtet.
Bei den Assoziationen sollte insbesondere bei Symbolen, die bestimmte Assoziationen nahe legen, darauf geachtet werden, welche Automatismen geäußert werden. Man kann bei bekannten Symbolen versuchen, diese auf neue Art zu sehen. Der Widerstand gegen diese Verschiebung des Montagepunkts lässt Muster deutlich erfahren. Z.B. ist es hilfreich, eine Präferenz der subjektstufigen oder objektstufigen Deutung zu erkennen (introvertierte bzw. extravertierte Muster zeigen sich u.a. auf diese Weise).

3. Interpretation
Geben die Interpretationen eine befriedigende Antwort auf die grundlegenden Fragen an den Traum?
Erhalte ich durch die Interpretationen neue Erkenntnisse?
Führen diese zu möglichen Evidenzerlebnissen?
Träumer oder Träumerin schauen sich speziell die Symbole an, die sie bei der spontanen Traumbetrachtung nicht beachtet haben oder die sie ängstigen oder die anderweitig negativ besetzt sind. Sie suchen sich z.B. einige der unauffälligen oder unangenehmen Symbole aus und deutet diese auf die gewohnte Art. Sie fragen sich: Was sagt das über meine Wahrnehmungseinstellung / meinen Montagepunkt aus?
Es wird die Interpretationen analysiert. Die Betonung liegt besondere auf der Tendenz zu negativen oder positiven Interpretationen, aber auch auf Interpretationen, die nichts Weiterführendes beinhalten. All diese Deutungen zeigen althergebrachte Traumdeutungsmuster, die nichts Neues erzeugen.

Betrachtung des gesamten Traumes unter dem neuen Blickwinkel
Die Träumerin / der Träumer ändert bewusst die Perspektive und spielt mit möglichen Perspektiven
Führt die Betrachtung unter dem neuen Blickwinkel zu Evidenzerlebnissen?
Es geht um die Betrachtung des Traums unter einem neuen Blickwinkel. Dafür sucht man nach anderen, nicht automatisierten Assoziationen und Deutungen. Z.B. werden negative Interpretationen bewusst ins Positive verändert und den automatisierten Interpretationen gegenübergestellt. Der Träumer oder die Träumerin spüren nach, ob sie so neue Möglichkeiten erkennen. Falls dies nicht der Fall ist, sollte nach Interpretationen gesucht werden, die zwangsläufig zwischen den beiden Polen liegen, und die eine konstruktive Veränderung in der Wahrnehmung des Träumenden ermöglichen.

Ad 1: Alle Symbole werden in Bezug auf die grundsätzliche Fragestellung des Träumers / der Träumerin betrachtet. Sie suchen sich

diejenigen heraus, die ihnen eine Antwort auf die gestellte Frage zu geben scheinen (die anderen Symbole bleiben vorerst unbeachtet)

die auffälligsten – unauffälligsten Symbole

die angenehmsten – unangenehmsten Symbole

die Symbole, die ihnen am klarsten sind – die rätselhaftesten Symbole

und deuten diese auf die gewohnte Art und Weise.

 

Ad 2: Die Assoziationen zu den Symbolen werden genauer betrachtet:
Besonders bei bekannten Symbolen, die bestimmte Assoziationen nahe legen, sollten weitere Assoziationen gesucht werden. Das verhindert, dass der Träumer / die Träumerin stets nur ihren Erwartungshorizont bestätigen und somit keinen Erkenntnisfortschritt machen. Die Analyse der automatisierten Assoziationen zeigt, wie der Träumer / die Träumerin wahrnehmen.
Fest besetzte Symbole werden also versucht, auf neue Weise zu sehen. Die neuen Assoziationen werden mit den alten verglichen, um den Unterschied zwischen der althergebrachten Sicht- und Assoziationsweise und der neuen Assoziations- und Sichtweise zu verdeutlichen.

Auf Grund der neuen Assoziationen werden neue Deutungen zu dem Traumsymbol gesucht. Dadurch kommt es zu einer mittleren Abweichung von Erwartungshorizont des Träumers oder der Träumerin bzw. zu einer Verschiebung des Montagepunkts.

Symbole, die ausschließlich auf der Subjekt- bzw. der Objektebene betrachtet wurden, könnten auf der Ebene betrachtet werden, auf der das Symbol noch nicht interpretiert wurde.

Ad 3: Interpretationen:
Hier liegt die Betonung speziell auf der Betrachtung des Unterschieds zwischen auf alten und neuen Interpretationen. Die Unterschiede können Aufschluss darüber geben, in welchen Mustern der Träumer / die Träumerin sich bisher bewegten und wie sie aus diesen herausfinden.

Folgendes Vorgehen bietet sich an: Den alten automatisierten Interpretationen werden die neuen gegenübergestellt. Dabei wird das Bewusstsein des Träumers oder der Träumerin für die Qualität des Unterschieds und dessen Konsequenzen geschärft.

den negativen Interpretationen werden bewusst positive und den positiven Interpretationen bewusst negative gegenübergestellt. Hier stellen sich die Fragen:
Welche Ängste treten bei diesen negativen Interpretationen auf?
Was habe ich bisher verdrängt?

Betrachtung der Interpretationen, die nichts Weiterführendes beinhalten. All diese Deutungen beinhalten alt hergebrachte (automatisierte) Traumdeutungsmuster, die nicht weiterführen, sondern vielmehr alte Muster zementieren und so zur Erstarrung führen.

Danach werden die einzelnen Interpretationen betrachtet und der/die Träumer/in spürt nach, ob sie konkrete neue Sicht- und Verhaltensmöglichkeiten beinhaltet. Falls dies nicht der Fall ist, sollte nach Interpretationen gesucht werden, die zwischen den beiden Polen (automatisierte und neue Deutung) liegen und eine Veränderung im realen Leben des Träumenden ermöglichen. Das ist die mittlere Abweichung vom Erwartungshorizont der Träumerin oder des Träumers, die stets Entwicklungen in sich birgt.

 

Es ist der schwierigste Schritt für den Träumer / der Träumerin, zu Interpretationen zu gelangen, die über die bisherigen Muster hinausführen. Das Ziel der therapeutisch ausgerichteten Traumdeutung besteht jedoch darin, Änderungen in der

Sichtweise

Fühlweise

Denkweise

Handlungsweise

hervorzurufen. Das geschieht, indem Träumer und Träumerin sich bewusst machen, was die Qualität dieser neuen Deutung und deren Konsequenz für das Alltagsleben ist. Eine Deutung ist nämlich erst abgeschlossen, wenn konkrete Änderungen im Alltagsleben vorgenommen werden.

Ad 4: Betrachtung des Traumes unter dem neuen Blickwinkel (Verschiebung des Montagepunkts)

Nun wird der gesamte Traum nochmals unter dem neuen Blickwinkel betrachtet. Realistisch geschieht das mit dem Bewusstsein, dass die bekannten Traumdeutungsmuster weiterhin ein Teil des Träumers / der Träumerin bleiben, jetzt aber schneller identifiziert werden.

Möglich ist auch mit Hilfe aktiver Imagination den Traum nochmals nacherleben zu lassen. Dadurch kann ein grundlegend neues Verständnis des Traums gefördert werden.

Die Verschiebung des Montagepunkts entsteht dadurch, dass sich unsere bisherigen Muster (Traumdeutungs-, Einstellungs-, Verhaltensmuster etc.) auf eine neue Art und Weise miteinander verknüpfen und von uns dadurch neue und zu realisierende Möglichkeiten erkannt werden. Aus diesen Erkenntnissen / Erfahrungen können neue Muster entstehen, die wiederum nach einer gewissen Zeit de-automatisiert werden müssen. Ich erwarte, dass die in dieser Methode geübten Träumerinnen und Träumer mit der Zeit zunehmend schneller Muster erkennen und diese ändern können.

Ebene 1b der Traumdeutung: Betrachtung der Möglichkeiten (Potenzialförderung in der Persönlichkeitsentwicklung)

Hier stehen die Fragen im Vordergrund:
Welche Erkenntnisse in bezug der Entwicklungsmöglichkeiten und der praktischen Umsetzung dieser Möglichkeiten bietet der Traum?

Welche Hinweise teilt der Traum mit, welche die momentane Lebenssituation des Träumers oder der Träumerin konstruktiv zu beeinflussen?

Mit welcher konkreten Frage bezüglich ihrer momentanen Lebenssituation betrachten Träumer / die Träumerin ihren Traum?

Das erkenntnisleitende Interesse liegt

  • auf dem Erkennen von Parallelen zwischen dem Umgang mit Potenzialen bei Eltern, Partnern und anderen Personen, die Träumer oder Träumerin maßgeblich beeinflussten. Wie und aus welchen Gründen wurden diese bisher von dem Träumer / der Träumerin abgewehrt oder einseitig ausgeführt?
  • auf dem Erkennen neuer Möglichkeiten, die womöglich in der Familie abgewehrt oder gefördert wurden
    die durch die Entwicklung des Träumers vorhanden sind
    die durch spezielle genetische Veranlagung dem Träumenden gegeben sind
    die von seiner sozialen Umgebung verstärkt oder unterdrückt werden

Folgendes Vorgehen schlage ich vor:

Zunächst wird der Status quo (die „Ist-Perspektive“) betrachtet, d.h. Schwierigkeiten, Lösungsmöglichkeiten, Potenziale im Träumer / der Träumerin selber werden bewusst gemacht. Dabei ist davon auszugehen, dass sich der Status quo entweder im Traum

widerspiegelt

abgewehrt wird (Verdrängung)

ambivalent zu Tage tritt

Der Status quo zeigt sich vorzüglich im Verhalten des Traum-Ich, welches die unbewusste Einstellung zur Ist-Perspektive widerspiegelt, und in den Symbolen selbst.

Entweder ist das Traum Ich

  • nicht anwesend
  • reiner Beobachter
  • vorhanden und passiv
  • vorhanden und aktiv

 

Haben Träumerin oder Träumer ihre jetzige Situation erkannt, sollten sie aufgefordert werden, konkrete Beispiele zu bringen, wann sie sich die letzten Male gemäß dieser Muster verhielten, wie sie sich dabei fühlten und wozu diese Handlungs- oder Sichtweise führte. Dadurch werden die Muster konkret.

Fallen den Träumern keine Beispiele ein, kann der Therapeut (oder sie selbst sich) fragen, wen der Träumer kennt, der sich so verhält? Es können Personen der Umgebung des Träumers sein oder Figuren aus der Literatur oder den Medien. Der Fokus liegt auf der Erkenntnis, wie diese Personen sich konkret verhalten (Mustererkenntnis) und zu welchem Ergebnis das führt. Diese Betrachtung sollte nicht nur einseitig intellektuell durchgeführt werden, sondern die Träumer sollten dabei ihre Emotionen spüren.

Wenn der Träumer / die Träumerin über andere Personen reden, wird stets gefragt, ob dies Aussagen über sie selbst und ihre eigenen Muster sind.

In Traum und Leben sind folgende drei Grundformen der Musterwiederholung zu erkennen:

Altes wird wiederholt, nichts Neues entsteht: Das zeigt sich in Traum und Leben durch zu wenig Aktivität.
Frage: Was wäre geschehen, wenn der Träumer in seinem Leben wirklich aktiv geworden wäre?
Diese Frage erzeugt beim Träumer Gefühle, die bewusst gemacht werden müssen.

Es wird zu viel gewollt (verbissene Zielgerichtetheit) oder es wird Unrealistisches gewollt. Damit werden Misserfolge wiederholt. Das zeigt sich, durch zu viel Aktivität oder einen starren Willen, der sich nicht unterschiedlichen Situationen anpassen kann.
Frage: Was wäre geschehen, wenn der Träumer sich passiv verhalten hätte?
Diese Frage erzeugt beim Träumer Gefühle, die bewusst gemacht werden müssen.

Träumer oder Träumerin verhalten sich ambivalent. Das vorherrschende Muster ist der Zweifel.
Frage: Was wäre geschehen, wenn der Träumer eindeutig geworden wäre (entweder wirklich aktiv oder wirklich passiv oder sich wirklich für ein Ziel entschieden hätte)?
Diese Frage erzeugt beim Träumer Gefühle, die bewusst gemacht werden müssen.

Die Symbole des Traums werden einzig unter dem Blickwinkel der Möglichkeiten des Träumers / der Träumerin betrachtet. Folgende Fragen bieten sich an:

Welche möglichen Hindernisse werden mit dem Symbol dem Träumer / der Träumerin aufgezeigt?

Inwiefern könnten sich im Symbol mögliche Lösungswege und Potenziale erkennen lassen?
Welche Potenziale entwickelte der Träumer / die Träumern bei ihrer bisherigen Entwicklung zu wenig? Was sollten sie in der momentanen Situation verstärkt beachten?

Liegt der Schwerpunkt der Bedeutung des Symbols mehr bei den Möglichkeiten oder verstärkt bei den Blockaden? Je nachdem sollte der Träumer / die Träumerin verstärkt nach den entgegengesetzten Interpretationen suchen.

Ebene 2a der Traumdeutung: Begegnung mit dem Du (Persönlichkeitsentwicklung)

Da jeder Traum auf unser Beziehungsleben und unsere Kommunikation mit anderen reagiert, lautet die grundsätzliche Frage: Welche Erkenntnisse in bezug auf meine Beziehungen kann ich durch den Traum erhalten?

Dabei dreht es sich sowohl um

die Kommunikation und Beziehung unterschiedlicher Persönlichkeitsanteile in mir (intrapsychische Kommunikation bzw. Beziehung von Persönlichkeitsanteilen zueinander),

als auch um die Kommunikation und die Beziehung zu anderen Menschen (das Du im Sinne M. Bubers)

Es ist davon auszugehen, dass die intrapsychische Kommunikation und die Beziehungen unterschiedlicher Persönlichkeitsanteile (Introjekte) zueinander sich in den realen Beziehungen und der Alltagskommunikation wiederspiegeln und umgekehrt. Der Fokus liegt auf dem Erkennen der Parallelen des Status quo mit der Vergangenheit des Träumers und den damit verbundenen Erfahrungen (Musterwiederholungen). So wird die Genese des jetzigen Montagepunkts deutlich, der als einer unter vielen möglichen erkannt werden kann.

Mit folgenden Fragen gehe ich an den Traum heran:

 

Intrapsychisch
Welche Persönlichkeitsanteile von mir widerspiegeln Personen meines früheren Umfelds?
Gehen diese unterschiedlichen Anteile ähnlich miteinander um, wie früher diese Personen miteinander umgegangen sind?

reale Beziehungen
Inwiefern wiederhole ich in meinen realen Beziehungen alte Beziehungen aus meiner Vergangenheit?

Unter dem Fokus dieser Fragen werden die folgenden Schritte durchgeführt.

Auswahl der Symbole
Welche Symbole scheinen geeignet, dem Träumer / der Träumerin eine Antwort auf ihre Fragen zu geben?

Assoziationen zu den Symbolen
Welche Assoziationen sind hilfreich bezüglich der Antwort auf die Frage der Träumerin / des Träumers und welche nicht?

Interpretation
Geben die Interpretationen eine Antwort auf die grundlegende Frage an den Traum? Wehren der Träumer oder die Träumerin durch ihre Interpretation eine konstruktive Antwort des Traums ab?
Erhalten die Interpretationen wirklich neue Erkenntnisse oder handelt sich um Schein-Erkenntnisse?

Betrachtung des gesamten Traumes unter dem neuen Blickwinkel
Führt die Betrachtung unter diesem neuen Blickwinkel zu Evidenzerlebnissen?

Ebene 2b: Begegnung mit dem Du (Potenzialförderung)

Die grundlegende Frage bei dieser Ausrichtung des Erkenntnisinteresses lautet: Welche Einsichten bezüglich des Umsetzens von Möglichkeiten in der Kommunikation mit dem anderen kann der Träumer / die Träumerin durch den Traum erhalten?

Der Fokus liegt erstens:

  • auf dem Erkennen von Parallelen bezüglich möglicher Potenziale bei den Eltern (und anderen wesentlichen Personen in ihrem Leben) und bei dem Träumer. Wie und aus welchen Gründen wurden diese bisher von dem/der Träumer/in abgewehrt? Wird hier ein Muster deutlich?
  • auf dem Erkennen neuer Potenziale und Möglichkeiten, die womöglich in der Familie (oder anderen Bezugsgruppen des Träumers oder der Träumerin) abgewehrt wurden oder durch die Entwicklung oder spezielle genetische Veranlagung beim Träumenden vorhanden sind.

Wir betrachten zunächst die Beziehung der einzelnen Symbole oder Symbolgruppen zueinander. In diesen spiegeln sich einerseits die Hindernisse, andererseits die Lösungsmöglichkeiten wider.

Die einzelnen Symbole werden betrachtet unter der Polarität Potenzial – Hindernis. Beide Pole sind jeweils in den einzelnen Symbolen verstärkt oder weniger ausgeprägt vorhanden.

Bildung von Symbolgruppen: (Potenziale – Hindernisse [Blockaden])

Die Symbole werden unter dem Aspekt betrachtet, inwiefern die Symbolgruppen Potenziale oder Blockaden symbolisieren. Sie zeigen die Gegensätze (Ambivalenz) auf, die bezüglich der Fragestellung bestehen.

Frage: Kann ich ein Symbol finden, das die Gegensätze vereinigt?