Zeit im Traum

 

In der Welt der Quantenphysik gibt es letztendlich keine Zeit, weder ein Vorher noch ein Nachher und die Frage nach dem Wann spielt keine Rolle

Malcolm Godwin: The Lucid Dreamer

Wer sich ins Land der Träume begibt, erlebt das oft als Verwirrung. Er taucht in eine Welt ein, die Kants Ansicht Lügen straft, dass Raum und Zeit feste Determinanten unserer Welt sind. Schreiben Sie ihre Träume auf, ist es oft schwierig zu entscheiden, was geschah vorher, was nachher. Scheinbar geschah alles zugleich, die unbarmherzige Ordnung der Zeit eine Illusion.

Schlimmer wird es noch, wenn wir vorausweisende Träume betrachten, deren Existenz selbst der kritischte Geist nicht verleugnen kann. Für den bequemen Denker liefert die Zeitdeterminierung, wie wir sie aus dem Hinduismus kennen, eine willkommene Erklärung. Alles ist vorausbestimmt, auf Palmblättern oder in der Akasha-Chronik, die Madame Blavatsky eifrig las,  niedergelegt. Diese Schicksalsgläubigkeit findet ihre Sicherheit in einem determinierten Leben, in dem der Mensch denkt und eine Gottheit lenkt. Der Idee des freien Individuums, der wir mehr oder weniger bewusst huldigen, ist das ein Schlag in Gesicht.

Glücklicherweise bietet die moderne Physik seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts einen akzeptablen Ausweg. Die Zeit ist relativ – uns fällt ein Stein vom Herzen. Was heißt das nun in Bezug auf den Traum?

Wenn wir träumen, dann verändert sich unser Hirnwellenmuster. Denken Sie sich das wie bei einem Radio: mit dem veränderten Hirnwellenmuster stellen Sie einen anderen Sender ein. Den anderen Sender können Sie auch als ein anderes Universum ansehen. Nun hilft uns John Wheeler, der Musterschüler Einsteins, weiter, der mit seinen Kollegen Everett und Rhiner eine Theorie von Paralleluniversen vorschlug. In den unterschiedlichen Universen, die alle übereinander geschichtet bestehen, gibt es unterschiedliche Zeitverhältnisse. Kommen wir zurück zum vorausweisenden Traum: mit diesem haben wir uns in ein Universum eingeschaltet, in dem die Zeit rückwärts fließt. Zuerst kommt die Zukunft, dann die Gegenwart und am Schluss löst sich alles in der Vergangenheit auf. Das ist wie beim Merlin der Artussage, der in der Zeit rückwärts lebt und deswegen der clevere Berater von König Artus sein kann. Auf den ersten Blick scheint dies auch wie eine Determinierung auszusehen, man könnte meinen, die Zukunft sei bestimmt. Das ist sie aber dennoch nicht, da alle Aussagen der Quantenphysik Wahrscheinlichkeitsaussagen sind, aber keine Notwendigkeiten.

Angesichts dieses Phänomens der Zeitumkehr muss unsere Sprache kapitulieren, denn ihre sinnstiftende Ordnung, die Grammatik, ist an unsere „normale“, von der Vergangenheit in die Zukunft fließende Zeit gebunden. Wenn wir aus einem Traum aufwachen, dann kommen wir aus einem zeitlosen Raum ins zeitgebundene Bewusstsein an. C.G. Jung geht davon aus, dass unser Bewusstsein sich komplementär zu unserem Unbewussten verhält. Das Unbewusste kennt keine Zeit, was die Freiheit in der Traumwelt ausmacht, das Bewusste braucht die Ordnung der Zeit, damit wir uns orientieren und zielgerichtet handeln können. Wenn wir also einen Traum erinnern, wendet unser Bewusstsein ein Trick an: es bearbeitet den eigentlichen Traum, dass er sprachlich ausgedrückt werden kann und dass wir ihm einen Sinn geben können. Das geschieht freilich nicht immer vollständig und so bleibt eine leichte Verwirrung bei vielen Träumen übrig, was denn nur im Traumgeschehen vorher und was nachher war.

Nur in unserem Unbewussten sind wir wirklich frei, deshalb können wir dort jenseits unserer alten Muster wahrnehmen und reagieren. Mathematiker schlugen vor, unser Unbewusstes als den Hilbert-Raum zu betrachten, in dem es keine Strukturierung gibt, außer jener, die der Betrachter in ihn hineinsieht. Das ist das postmoderne „every goes“. So ist es auch einsichtig, dass sich der Traum in Bildern mitteilt und höchst selten nur in Sprache. Im Bild ist im Gegensatz zur Sprache alles zugleich. Im Bild als solches gibt es keine Zeitgebundenheit, dort ist alles zeitgleich vorhanden.

Kommen wir zurück zum Phänomen des vorausweisenden Traums. Von vorausweisenden Träumen berichten Personen, die man in der USamerikanischen Forschung als „begegnungsanfällig“ bezeichnet. Das ist keineswegs eine psychologische Störung, sondern nur die Umschreibung dessen, was der Laie als „sensibel“ bezeichnet. Oft muss ich meine Hörer enttäuschen, wenn ich sage, dass zum einen vorausweisende Träume erst dann als solche bestimmt werden können, wenn die Voraussage eingetreten ist – und ob man dann nicht dann besser von selbstbestimmter Prophezeiung oder einem sich durchsetzenden Muster redet, ist eine andere Frage – und zum anderen diese Träume häufig nichts Bedeutendes voraussagen. Echte Warnträume, die stets die Gemüter anziehen, sind wesentlich seltener als gemeinhin angenommen wird. In der Antike wurden weitgehend nur diese Träume betrachtet, aber gleichzeitig lehrt uns die Geschichte, dass die Warnungen wie bei Caesars Ermordung und Kassandras Rufe nie befolgt wurden. Unser Bewusstsein arbeitet nach dem Prinzip, es darf nicht sein, was nicht sein kann und deswegen werden den Warnungen nicht geglaubt.

Wer es noch genauer wissen möchte, findet im Folgenden einen gekürzten Aufsatz von mir, den ich vor Jahren zu diesem Thema veröffentlichte

Das Universum träumt

Die Leere und der Raum waren wie die Zeit, oder die Zeit war wie die Leere und der Raum; war es dann also nicht denkbar, […], dass es dann Universen mit verschiedenem Zeitmaß gibt? Ist nicht gesagt worden, dass auf Jupiter ein Tag so lange dauert wie ein Jahr?

Umberto Eco: Die Insel des vorigen Tages

Relative Zeit & prophetische Träume

Ganz unfassbar ist für uns „zeitgeplagte“ Menschen, dass in den Sprachen der Aborigines weder Zeit noch Geschichte – wie im Traum – ein konkrete Rolle spielt. Es gibt zwar die Vorstellung „vor langer, langer Zeit…“, die unserem „es war einmal…“ entspricht, aber eine weitere Zeitdifferenzierung scheint auf dieser Ebene uninteressant zu sein. Sie wissen nicht, was vorher und was nachher war. Das scheint für die Ebene des Traums und der der Mythen Australiens nicht wesentlich zu sein.

Zeit ist eine Illusion

Ich möchte Sie zu einer Vorstellungsreise in ein quantenphysikalisches Konzept einladen, das besagt, dass die Zukunft darüber entscheidet, was in der Gegenwart geschieht.

Albert Einstein regte den amerikanischen Physiker John A. Wheeler und den englischen Astronomen Fred Hoyle an, die Relativität der Zeit genauer zu untersuchen. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts war es durch die Relativitätstheorie deutlich geworden, dass unser lineares Konzept von einer gleichmäßig in einer Richtung ablaufenden Zeit nur eine Möglichkeit unter vielen darstellt. Bei der Beobachtung subatomarer Teilchen stellte man fest, dass die Zeit, die unsere Uhr misst, augenscheinlich nicht die einzige mögliche Zeit ist. Amerikanische Quantenphysiker wie Wheeler und Rhiner nahmen Reflexwellenwellen an, die in der Zeit rückwärts wirken. Das bedeutet, das zukünftige Ereignis wirft einen Schatten voraus. Es beeinflusst mit Hilfe dieser Reflexwelle alles das, was zuvor geschieht. Mit anderen Worten: Die Zukunft wirkt auf die Vergangenheit. Damit ist unser normales Zeitverständnis auf den Kopf gestellt.

Der britische Astronom Fred Hoyle hat sich seit etwa 1940 ausgiebig mit der Zeit aus dem Blickpunkt der Relativitätstheorie Einsteins beschäftigt. Er geht von der Theorie der parallelen Welten aus, die durch die amerikanischen Physiker Everett, Wheeler und Rhiner bekannt geworden ist. Danach kann man sich unser Universum wie einen Käsetoast vorstellen. Dieser Toast besteht aus drei Ebenen. Der Käse steht dabei für eine Welt, die Butter und das Brot für andere Welten. Dabei kann sich jede Welt von der anderen unterscheiden. Jede dieser Welten besitzt ihre eigene zeitliche Ordnung. In der Welt, die wir als „unsere Realität“ bezeichnen, läuft die Zeit von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft. In anderen Welten gibt es andere Zeitverhältnisse wie beispielsweise die zyklische Zeit (ein Vorstellungsmodell matriarchaler Kulturen) oder die Zeit, die rückwärts läuft.

Die Realität, die wir im Traum wahrnehmen, ist nicht nur eine dieser Welten, sondern die Überlagerung vieler Welten. Das bedeutet, dass die verschiedenen Schichten unseres Käsetoasts durchscheinend gedacht werden müssen. Wir können also erahnen, was auf anderen Schichten geschieht. Wir erleben also zugleich Zukunft und Vergangenheit. Das verwirrt.

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der die Wirkung vor der Ursache liegt. Vom Standpunkt des Beobachters aus läuft aber die Zeit nicht nur rückwärts, sondern zugleich befindet er sich in unserer Alltagswelt, in der die Zeit vorwärtsläuft. Er findet sich also in einem System von Überlagerungen wieder. Die Quantenphysik geht davon aus, dass wir uns diesen Zustand als ein Treffen von zwei Wellen vorstellen können: Eine Welle, die von der Vergangenheit in die Zukunft verläuft und eine andere Welle, die in der entgegengesetzten Richtung von der Zukunft in die Vergangenheit läuft. Der Quantenphysiker nimmt also an, dass Ereignisse, die noch nicht eingetreten sind, eine Welle erzeugen. Diese Welle wird beim voraussagenden Träumen dekodiert und in Bilder umgesetzt.

Traumforscher wie Montague Ullman und sein früherer Mitarbeiter Stanley Krippner untersuchten den Unterschied von prophetischen Träumen und gewöhnlichen Träumen. Sie nehmen an, dass beim gewöhnlichen Traum die erinnerten Tageserlebnisse mit im Gedächtnis gespeicherten Assoziationen und Vorstellungen von der Zeit widerspruchsfrei verbunden werden. Wir fügen die Bilder des Traums unserer Zeitvorstellung entsprechend zusammen und lassen diesen Traum so zu einer Geschichte werden. Die Bilder dieser Traumgeschichte werden aus sich überlagernden Hologrammen der Gehirnrinde erzeugt.

Beim vorausweisenden Traum dagegen werden die Bilder aus Hologrammen erzeugt, die von Wellen aus der Zukunft und aus der Vergangenheit produziert werden und so Abweichungen von unserer gewohnten Zeitstruktur aufweisen. Das verwirrt unsere „normale“ Wahrnehmung, da es in unglaublicher Weise von unserer Schulweisheit abweicht, dass wir die Zukunft sehen können.

Es stellt sich die Frage, warum der Träumer bisweilen seinen Empfangsmechanismus umstellt, und so prophetische Träume als Schnittpunkt zweier gegenläufiger Wellen empfängt. In den meisten Fällen hat er jedoch diesen Empfangsmechanismus für prophetische Träume abgeschaltet.

Der Engländer Michael Persinger hat als erster vor zehn Jahren Personen untersucht, die zu voraussagenden Träumen neigen. Das scheinen solche Menschen zu sein, die überempfindlich auf die elektrischen Aktivitäten ihres Temporallappens reagieren. Diese Menschen sind zugleich Individuen, die keinen starr fixierten Erwartungshorizont besitzen und so für neue Erfahrungen offen sind. Ob das wiederum an ihrer sensiblen Wahrnehmung der elektrischen Zustände ihres Temporallappens liegt oder nicht, konnte bis heute nicht geklärt werden.

Voraussagende und gewöhnliche Träume unterscheiden sich nach dem Physiker F.A. Wolf in bezug auf die Datenmenge, die ihnen zur Konstruktion ihrer Bilderwelten zur Verfügung steht. Dabei schöpft der voraussagende Traum aus einem unbegrenzten Datenreservoir – nämlich dem der Vergangenheit und der Zukunft. Dem gewöhnlichen Traum steht dagegen nur das vergleichsweise eng begrenzte Datenreservoir der Vergangenheit zur Verfügung. Es bleibt jedoch offen, warum einmal auf ein unendliches und ein anderes Mal auf ein endliches Datenreservoir im Traum zurück gegriffen wird. Traumforscher können bis jetzt nicht erklären, warum ein und die gleiche Person bisweilen vorausschauend träumt und dann wieder „normal“. Selbst begnadete Medien wie der Amerikaner Edgar Cayce haben nicht ausnahmslos vorausdeutend geträumt. Er selbst berichtet von „ganz normalen Träumen“, die sich mit prophetischen Träumen abwechselten.

Meiner Theorie zufolge kann das Unbewusste immer unendlich viele Daten aus der Zukunft und der Vergangenheit verarbeiten. Stellen Sie sich vor, dass Ihr Unbewusstes Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wie Länder überblickt, die man von einem Berg aus sieht. Es verbindet diese Ausblicke zu einem komplexen Bild, wobei es Einblicke aus der Zukunft und der Vergangenheit miteinander verbindet.

Man kann sich das Unbewusste auch wie einen Maler denken, der Farben kombiniert, um zu einer bestimmten Aussage zu kommen. Gelb ist die Zukunft und Blau die Vergangenheit. Der Maler benutzt und mischt diese beiden Farben, um seine Aussage zu vermitteln. Genauso mischt und kombiniert unser Unbewusstes Daten aus der Zukunft und Vergangenheit, um sie zu einer für uns wichtigen Bedeutung neu zu kombinieren. Diese Kombination ist das Traumbild, das sowohl „gewöhnliche“ wie auch prophetische Aspekte aufweist. Wenn der Träumer Voraussagen in seinen Träumen bemerkt, werden sich mehr und mehr prophetische Träume einstellen, da dieser Träumer lernt, sich auf solche Voraussagen einzustellen. Ein prophetischer Traum erhöht also die Wahrscheinlichkeit weiterer vorausweisender Träume.

Ich und Es – die beiden unterschiedlichen Geschwister

Das Es besitzt den Überblick über Zukunft und Vergangenheit, indem es in assoziativer Weise zwischen den Zeiten hin- und herpendeln kann. Das Ich dagegen ist eine relativ starre Struktur, die zeitlich linear geordnet ist. Das Ich besitzt ein klares zeitliches Konzept, es kann nicht in die Zukunft sehen. Das Freudsche Es dagegen neigt paranormalen Wahrnehmungen wie der Prophetie zu, was Sigmund Freud klar gesehen hat. Freud sagte 1935, dass der Traum, uns für paranormale Erlebnisse öffnet, und tritt damit der noch heute weitverbreiteten Auffassung des römischen Politikers Cicero entgegen, der die Weissagung von Träumen als reinen Aberglauben abtat. Allerdings, so führte Freud weiter aus, ist die Fähigkeit zur Voraussage im Laufe der phylogenetischen Entwicklung durch effektivere Kommunikationsmethoden in den Hintergrund gedrängt worden. Das ist verständlich, da wir in unserer heutigen Umwelt ein gewisses Maß an Sensibilität opfern müssen, um die Menge der auf uns einstürzenden Daten effektiv zu verarbeiten.

Das Es besitzt schon allein durch seine Struktur die latente Fähigkeit, in bestimmten Bewusstseinszuständen wie dem Traum Voraussagen zu machen. Dem Ich sind diese Fähigkeiten aufgrund einer anderen Strukturierung fragwürdig und es versucht die Voraussage im Traum zu unterdrücken, da sie seine Ordnung stört. Deswegen erkennen wir häufig nicht die Voraussage in einem Traum.